Walter Riechel
„Pfui!“ Ein Ausruf des Entsetzens und der Empörung wurde für den Bergmann Walter Riechel zum Anlass von KZ-Haft und Tod. „Pfui!“ rief er im September 1944, als der Betriebsführer einen russischen Kriegsgefangenen verprügelte, der als Zwangsarbeiter in der Ibbenbürener Preussag-Zeche unter Tage eingesetzt war. Grund der Bestrafungsaktion war vermutlich die Mitnahme von Metallabfällen, die noch als Schnitzmesser zu gebrauchen waren. Mit denen fertigten die Häftlinge in ihrer Baracke Holzfiguren an, die sie ihren deutschen Kumpels schenkten, wenn sie ihnen heimlich ein Butterbrot zusteckten, mit denen sie zeitweise ihren Hunger stillen konnten. Aufgeklärt wurde der Vorgang auch nach dem Krieg nicht; Konsequenzen wegen der Anzeige mit den verheerenden Folgen blieben aus. Heinrich Quindt, der Halbbruder von Walter Riechel, hat sich intensiv mit dem Fall beschäftigt und 1948 Anzeige erstattet („Verbrechen gegen die Menschlichkeit“) und auch das Justizministerium NRW um Unterstützung gebeten. Eine juristische Überprüfung hat er nicht erwirken können.
Walter Riechel wurde am 21. April 1911 in Ibbenbüren geboren. Im Melderegister ist als Berufsbezeichnung eingetragen: „Weber“. Sein Berufsleben hat er jedoch im Wesentlichen als Bergmann auf der Preussag-Zeche „von Oeynhausen“ verbracht, bis er 1944 angezeigt wurde und vom Polizeigefängnis Ibbenbüren über die Gestapo-Haftanstalt in Münster in das Konzentrationslager Neuengamme eingeliefert wurde. Von dort aus wurde er beim Bau des U‑Boot-Bunkers Valentin in Bremen-Farge eingesetzt. Am 26. April 1945 wurden etwa 10.000 Häftlinge zur Evakuierung auf vier Schiffe verladen, von denen am 3. Mai der Luxusliner Cap Arcona und das Frachtschiff SS Thielbek durch einen britischen Luftangriff versenkt wurden. Insgesamt 6.400 der 7.000 Häftlinge verloren dabei ihr Leben. Eine Namensliste der Evakuierten gibt es nicht; es ist also nur höchst wahrscheinlich, dass sich Walter Riechel, ebenso wie Adolph Moh, unter den Ertrunkenen in der Neustädter Bucht befanden. Das Amtsgericht Ibbenbüren hat am 15.10.1957 Walter Riechel offiziell für tot erklärt und als Todestag den 31.12.1945 festgestellt.
Für Walter Riechel wurde am 23. Juni 2021 an der Adresse Laggenbecker Straße 296 in Ibbenbüren ein Stolperstein verlegt.