Judenghettohaus Hopsten

Familie Meyer und Rika Rosenthal

Gebäu­de an der dama­li­gen Adres­se Schul­stra­ße 2

Rechts neben der Syn­ago­ge stand das Wohn­haus der Fami­lie Rosen­thal: Mey­er Rosen­thal und sei­ne Ehe­frau Rika Rosen­thal wohn­ten dort mit ihrem Sohn Karl Rosen­thal. Von März bis Okto­ber 1936 leb­te Paul Abra­ham­sohn als Mie­ter in ihrem Haus, ihm gelang 1936 die Flucht nach Süd­afri­ka. Mey­er Rosen­thal war Vieh­händ­ler, der über­wie­gend mit Zie­gen han­del­te. Die Boy­kott­maß­nah­men des Jah­res 1935 schränk­ten sei­ne Berufs­aus­übung erheb­lich ein. Vor dem Wohn­haus stell­ten SA-Leu­te ein Schild auf: „Hier wohnt ein Vieh­ju­de. Kein Deut­scher han­delt mit ihm. Nur Lum­pen.“ Als direk­te Nach­barn hiel­ten die Rosenthals den Schlüs­sel der Syn­ago­ge in Ver­wah­rung, sie übten also den Küs­ter­dienst aus.

Der 25jährige Karl Rosen­thal wur­de nach dem Pogrom in Ibben­bü­ren am 9. und 10. Novem­ber 1938 mit gebro­che­nem Arm und Kopf­ver­let­zun­gen nicht etwa ins Kran­ken­haus, son­dern am 14. Novem­ber in das KZ Sach­sen­hau­sen ein­ge­wie­sen. Schutz­haft lau­te­te die ver­harm­lo­sen­de Bezeich­nung im Rah­men der „Juden­ak­ti­on“.

Wäh­rend sei­ne Eltern aus Alters­grün­den den Gedan­ken an eine Flucht ver­war­fen, berei­te­te sich Karl Rosen­thal nach sei­ner Ent­las­sung aus dem KZ auf die Aus­rei­se nach Paläs­ti­na vor. Von Juli bis Novem­ber 1939 nahm er an einem Schu­lungs­la­ger in Pader­born teil und reis­te danach über Wien auf einem Flücht­lings­schiff in Rich­tung Schwar­zes Meer. Doch der 2. Welt­krieg und die deut­sche Wehr­macht hol­ten die Flücht­lin­ge ein. Den Schif­fen wur­de die Wei­ter­fahrt ver­wei­gert; für die Flücht­lin­ge wur­de ein Gefan­ge­nen­la­ger in Šabac / Jugo­sla­wi­en errich­tet. Als Ver­gel­tungs­maß­nah­me für einen Par­ti­sa­nen­an­griff, bei dem 21 deut­sche Sol­da­ten getö­tet wur­den, erschoss die Wehr­macht am 11. Okto­ber 1941 alle 400 Gefan­ge­nen des Lagers in der Nähe des Ortes Zasa­vica.

Mitt­ler­wei­le war die Zahl der jüdi­schen Mit­bür­ger in Ibben­bü­ren von knapp 90 vor 1933 auf drei gesun­ken. Zwei von den ver­blie­be­nen waren Mey­er und Rika Rosen­thal, die ihr Haus ver­kau­fen muss­ten und Anfang 1942 völ­lig ver­arm­ten. Zwangs­wei­se muss­ten sie in das „Juden­haus“, eine Art Dorf-Ghet­to, in Hops­ten zie­hen, übri­gens zusam­men mit der drit­ten als „Jüdin“ bezeich­ne­ten Per­son, Kla­ra Dieck­mann, die zwar der katho­li­schen Kir­che ange­hör­te, aber durch die Ehe mit einem Juden eben­falls in das Ver­fol­gungs­pro­gramm der Natio­nal­so­zia­lis­ten geriet. Mey­er und Rika Rosen­thal wur­den dann im Juli 1942 nach The­re­si­en­stadt depor­tiert und im Sep­tem­ber des glei­chen Jah­res im Ver­nich­tungs­la­ger Treb­linka ermor­det.

An der heu­ti­gen Adres­se Syn­ago­gen­stra­ße 10, damals Schul­stra­ße 2 wur­den am 6. Okto­ber 2016 für Paul Abra­ham­son, Mey­er, Rika und Karl Rosen­thal vier Stol­per­stei­ne ver­legt.

Johannes, Johann und Klara Dieckmann

Clara Sax auf einem undatierten Gruppenfoto, veroffentlicht auf Stolpersteine in Papenburg
Cla­ra Sax auf einem unda­tier­ten Grup­pen­fo­to, ver­of­fent­licht auf Stol­per­stei­ne in Papen­burg

Kla­ra Dieck­mann, geb. Sax, wur­de am 3.9.1892 in Aschen­dorf gebo­ren. Am 16. Dezem­ber 1912 bekam sie den Sohn Josef. 1918 hei­ra­te­te sie den aus Broch­ter­beck stam­men­den Arbei­ter Johann Dieck­mann. Zur Hoch­zeit mit ihrem katho­li­schen Mann hat­te sie sich tau­fen las­sen und kon­ver­tier­te zum katho­li­schen Glau­ben.

Weil ihre Eltern jedoch bei­de jüdi­schen Glau­bens waren, galt sie trotz ihrer Tau­fe im Sin­ne der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ras­sen­leh­re wei­ter­hin als Jüdin. Da sie mit einem Chris­ten ver­hei­ra­tet war, leb­te sie laut Defi­ni­ti­on der Nazis in einer so genann­ten „Misch­ehe“. Ihr 1927 aus der Ehe her­vor gegan­ge­ner Sohn Johan­nes galt, obwohl römisch-katho­lisch getauft, als „Halb­ju­de“, da sei­ne Mut­ter jüdisch war. Am 15.9.1935 wur­de von den Nazis das Reichs­bür­ger­ge­setz ver­ab­schie­det und kurz dar­auf das „Gesetz zum Schutz des deut­schen Blu­tes“ und das „Gesetz zum Schutz der Erb­ge­sund­heit“. Von den neu­en Geset­zen waren alle Juden betrof­fen, kei­ner galt mehr als voll­wer­ti­ger Reichs­bür­ger. Für die Fami­lie Dieck­mann bedeu­te­ten die neu­en Geset­ze eine unmit­tel­ba­re Wen­de in ihrem Leben. Kla­ra Dieck­mann und ihr Sohn Johan­nes, gebo­ren am 22.9.1927 in Rhei­ne, gal­ten fort­an als jüdisch, das heißt als „nicht-arisch“.

Die Fami­lie Dieck­mann leb­te in ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen in einer Bara­cke auf dem Dicken­berg. Herr Dieck­mann übte den Beruf eines Besen­bin­ders aus, und sei­ne Frau sorg­te für den Ver­kauf der Pro­duk­te. Die­se Wohn­ba­ra­cke, gele­gen an der Hein­rich-Brock­mann-Stra­ße 8, war frü­her ein Wohn­heim für Berg­leu­te, und sie nann­te sich „Vil­la Son­nen­schein“. Sie gehör­te seit 1919 zur Koh­le-Pacht­gru­be Son­nen­schein der Con­ti­nen­tal-Kau­tschuk- und Gut­aper­cha-Gesell­schaft in Han­no­ver. Johann Dieck­mann starb 1938 im Alter von erst 46 Jah­ren an einem Herz­schlag. Damit erlosch der Sta­tus der Misch­ehe. Der Sohn Johan­nes wur­de 1938 als Elf­jäh­ri­ger vom Jugend­amt sei­ner Mut­ter weg­ge­nom­men und in ein Kin­der­heim in Dors­ten zwangs­ein­ge­wie­sen. 1939 erhielt er einen Betreu­ungs­platz im Pfle­ge­heim Haus Hall in Gescher. Kla­ra Dieck­mann wur­de Ende 1941 auf Ver­an­las­sung der Gehei­men Staats­po­li­zei Müns­ter ver­haf­tet. Sie kam zunächst für eini­ge Tage in das Juden­haus am Bör­ne­brink in Hops­ten. Am 13.12.1941 wur­de sie über Müns­ter in das Ghet­to nach Riga depor­tiert. Dort ver­liert sich ihre Spur. Sie wur­de mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit bei einer der zahl­rei­chen „Säu­be­run­gen“ im soge­nann­ten Reichs­ju­den­ghet­to oder den Exe­ku­tio­nen im Wald von Bikernie­ki ermor­det. Ihr Sohn Josef wur­de am 29. Novem­ber 1942 im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger The­re­si­en­stadt ermor­det.

1963 stell­te Johan­nes Dieck­mann beim Amts­ge­richt Ibben­bü­ren den Antrag auf Todes­zeit-Fest­stel­lung sei­ner Mut­ter. Als Todes­tag wur­de amt­li­cher­seits der 31.12.1945 als fik­ti­ves Datum fest­ge­setzt. Johan­nes Dieck­mann blieb bis 1949 in Haus Hall in Gescher und wur­de dort noch ein­mal von 1951 bis 1954 betreut. Über sei­nen wei­te­ren Lebens­weg ist uns (bis­her) wenig bekannt. 2002 ermit­tel­te eine Schü­ler­grup­pe sei­nen Wohn­ort: „zurück­ge­zo­gen auf einem Bau­ern­hof bei Coes­feld“. Im Dezem­ber 2013 zog er in das Alten­pfle­ge­heim Maria Veen in Reken, wo er am 24.4.2014 starb.

Für Johann, Kla­ra und Johan­nes Dieck­mann sind in am 23. Juni 2021 in Ibben­bü­ren an der Adres­se Gru­be Son­nen­schein Stol­per­stei­ne ver­legt wor­den.